27.7.13

Island Laufreise 6.Tag von Rjúpnavellir bei Hekla bis zur Berghütte Landmannahellir im Naturreservat Fjallabak 20km

Früh ist mir übel. Ich wanke wie betäubt. Nun begreife ich auch die tiefere Bedeutung des Namens: "Der schwarze Tod!" Eine hinterhältige Intrige, ein Angriff auf den Läufer, und das mit offenem Visier. Es stand ja drauf, was daraus folgt. Der Tod. Der Marterfahl, sie wollen meinen Skalp, die Irokesen. Ich lalle vor mich hin. "Die Irokesen sind die besseren Chinesen!" John, der isländische Guide, lächelt mir freundlich zu. Er kocht für seine französischen Wanderer Tee und Milchkaffee. Es duftet. Er versteht kein deutsch. Warum soll ich da englisch lernen. Ein kleines Entgegenkommen bitte! Können wir uns nicht in der Mitte treffen? Nie mehr, nie mehr in meinem Leben, das schwöre ich, werde ich auch nur einen Tropfen Alkohol anrühren. Gnade! Ich taumle. Die ersten Meter mit der Zahnbürste in der Hand, entlang des Blockhauses zum Wasserhahn werden zur Herausforderung. Der Kopf ist eine Masse aus Schmerz. Aber, ich wollte ja schon immer Indianer sein. Jetzt wäre die Gelegenheit dazu.


Die Gegenden werden immer mystischer. Hjalmar, der heute wieder den Fahrer macht, bringt uns mit 
dem roten Nissan in die Wüste. Eine Mondlandschaft erwartet uns. Ich erfahre, dass sie tatsächlich Grundlage für so manches Kosmonautentraining ist. 

Ewiges Nichts nur Schwarze Lava. Die Schuhe der Läufer knirschen im Gleichschritt. Dann rötliche Färbungen. Die Sonne spielt mit den Farben Roulette. 


Wir treffen zwei polnische Wanderer, die hier seid Wochen unterwegs sind. Immer wenn man englisch spricht, muß ich die Ohren spitzen. Im allgemeinen verstehe ich nur die Hälfte. Am Himalaja wären sie auch schon gewesen erzählen sie, dort könne man gut laufen. Gute Aussichten!

Wir laufen schwer durch den tiefen Sand. Volkmar bleibt immer öfter zurück. Wir haben alle schon viele Kilometer in den Beinen und das macht sich bemerkbar. Das schlafen fällt schwer. Die Duschen müssen mühevoll mit Kleingeld belohnt werden, damit sie Wasser spenden. An jedem Tag Klamotten waschen. Eine Tortur sie zu trocknen.   


Aber welche Belohnungen! 

Inmitten der Landschaft zeigen sich nun quirlige Bäche. Wir müssen Schuhe und Strümpfe ausziehen, um sie zu durchqueren. 


Die letzten 3 Kilometer laufe ich mit Ósk einen 4:40 Schnitt. Viel zu schnell, aber wir laufen wie magnetisiert auf die Hütten zu, die sich von weitem durch die Nachmittagssonne am Felsen abzeichnen. 


Eine völlige Ruhe empfängt uns hier und Ósk läuft pflichtbewußt auf direktem Weg in die Küche. Wie macht sie das bloß? Während ich meine Glieder strecke, schneidet sie schon Tomaten und Gurken für den Salat. Die Spanier vom Haus nebenan schenken uns Hai Stückchen. Die haben sie übrig. Hab ich jemals Hai gegessen? Er schmeckt wie ein stark riechender, alter Käse aus der Provence und das sage ich, der überhaupt nicht weiß, wie ein stark riechender, alter Käse aus der Provence schmecken würde. Schauspieler sind eben Menschen, mit einem Halbwissen, ihre Fähigkeit ist die Behauptung der Vollkommenheit, die sie mehr, oder weniger gekonnt vorgaukeln. Den Menschen, in seinem täglichen Drang nach Vollkommenheit und Allwissen zieht es zu diesem Volk der Halbwisser und Prahler und darum ziehen zu Scharen in öffentliche Gebäude, um ihnen beim Lügen zu zusehen und damit etwas von der Wahrheit zu erfahren. Meine Töchter sagen, ich übertreibe, ich antworte, darin liegt der Reiz. Die Übertreibung ist das Gewürz, das dem Alltag seinen Geschmack gibt. Hjalmar sagt, du bist sicher der erste auf dieser Welt, der Hai über seinen Salat streut. Ich habe Hunger, als dieser nachlässt, schmeiße ich die muffigen silbergrauen Kostbarkeiten schweren Herzens in die Mülltüte. Nein, das kann man nicht essen, nicht mal als Halbwissender.

Wille ist der gemeinsame Sohn von Hjalmar und Ósk. Ein schmaler hübscher Junge. Er hat Besuch aus Frankreich. Hecktor ist still und aufmerksam. Er stammt aus Marseille. Heute bleiben sie bei uns. Nächste Woche werden sie das Quartier tauschen und Wille wird mit Sack und Pack für einige Zeit zu Hecktor nach Marseille gehen. Wille isst kiloweise Erdnussmus. Je mehr er in sich hinein löffelt, um so verschmitzter guckt er. 


Die Jungs helfen Hjalmar unser Gepäck aus dem Wagen zu räumen. Ich lehne noch an der Holzterrasse um Atem zu holen, als Sonja und Martin ins "Ziel" kommen.


Nach dem späten Mittagessen fahren wir baden. Ich bringe mein Handy zu einem Haus mit einem großen "i" an der Tür für "Information" und bitte die Dame um eine Steckdose für diese Nacht. 

Hjalmar rauscht mit dem Jeep durch die Wasserbäche. Ein Traum für jeden kleinen und großen Jungen. Ich glühe vor guter Laune.

Das Naturbad liegt eine Autostunde weit entfernt. Wie in einer Sekte, einer Glaubensgemeinschaft sitzen die Pilger im warmen Wasser beieinander. Eine Wohltat für unsere Muskeln, Sehnen und Gelenke. Man spricht wieder alle Sprachen, sogar Russisch. Ich schließe die Augen und höre zu. Eigentlich, denke ich, sitzen wir doch alle, die ganze Menschheit, nur in einer großen Badewanne. Und schon deshalb ist es wichtig, dass man da nicht rein pinkelt.


Während die anderen duschen stöbere ich durchs Gelände. Ein Sammelort der Wanderer. Eine Outdoor Oase. Große organisierte Gruppen schlafen hier. Eine kleine Armee von Einmannzelten links. Ein riesiges Zelt rechts. Vorne Tracks für die Fahrten durchs Gelände. Ihre großen Reifen haben dicke Profile, die sich später in den Boden eingraben werden. Hier wohnen die Harten, denke ich, die welche bei "Globetrotter" ein und aus gehen. Kein Gramm Fett. Das sind die Weltentdecker, die Marco Polos. Wie beherzt und leichtfüßig sie Ihre Zelte aufbauen, die Heringe gekonnt mit Steinen in den harten Boden schlagen. Leinen für die Wäsche spannen. Das Essen bereiten. Eine Gemeinschaft von offenherzigen, gesunden, beruhigten Körpern. Ich beneide sie ob ihrer Coolnees. Lauter Old Shatterhands und Winnetous hier bei dem Volke der Apachen. 

In einem kleinen Laden kaufe ich Light Beer und laufe zurück.


Ich entdecke eine kleine Herde Pferde und fotografiere sie. Ich werde meinen Mädchen zu Hause erzählen, ich hätte sie in der Wüste mit dem Lasso gefangen und dann eingeritten und dann habe ich auch noch ein ganz kleines Fohlen mit der Milchflasche aufgezogen und einem armen weisen Jungen geschenkt, der beide Eltern bei einem Vulkanausbruch verloren hat. 90 Kilometer hoch flog die Asche, aber Papa hat das Fohlen gerettet und weil Papa ein Läufer ist, ein schneller Läufer, schnell wie der Wind konnte er mit dem jungen Fohlen im Arm der heißen Lava entfliehen, er kühlte sein Fell mit dem Schnee der Berge und wickelte es in seine Laufjacke, damit es schlafen könne. Er nannte das junge Pferd Rosanto und hatte es sehr lieb. Ja, das werde ich erzählen und man wird mir glauben, glaube ich...


Auf der Heimfahrt entdecken wir Obsidian. Eine Gesteinsart, die sich aus den Vulkanen gebildet hat.


Martin erzählt, Obsidian hätten schon die alten Inkas für ihre Messer und Speerspitzen benutzt. Obsidian, ein schwerer, glänzender Stein, von tiefem Schwarz und wie lackiert.

Wie große steinerne Riesen liegen die Felsen im Sand. Vergleichbar mit unserer Art die Sterne in Bilder zu fassen, kennzeichnen die Isländer die Gebirge und langgezogenen Erhebungen durch mythische Figuren. Gigantische Phantasiegestalten, sagenumwoben und überliefert mit Eigenschaften, welche ihnen abgewonnen und untergeschoben werden.


Am Abend gibt es Lachs und Forelle. Beides haben Wille und Hecktor gestern gefangen. Wir sind hundemüde. Heute Nacht wird es wieder eng. Wir schlafen zu sechst in einem kleinen Raum. 

Draußen, weit abseits, bauen Hjalmar und Ósk ein Zelt für die Nacht auf. "Unsere mongolischen Freunde bauen sich ein Jurte" flüstere ich Martin zu, der schon schnarcht. Der Nebel, der sich vom Tal herkommend über die Wiese legt, hüllt das Zelt der isländischen Mongolen in Watte. Es ist kalt geworden. Sehr kalt, vielleicht 5 Grad. Oh, mein Schlafsack! Mein geliebter wärmender Schlafsack.

Auch Indianer frieren manchmal.